Gott geb syn Gnad zu allen zyten
der Ehren Gesellschaft zu Rebleuten,
Welche bestätigt im 1621 jar,
Dinstags, da Pauli Bekehrung war.
¨Seht Ihr, Herr¨, nahm nun der alte Erlacher Führer und Burger wieder das Wort, hier halten wir alben den ¨Pauli¨ab. Aber natürlich, Ihr wisset ja wohl noch gar nicht, was der ¨Pauli¨ überhaupt ist. Also höret denn: Wie Ihr auf der grossen Wappentafel da lesen könnt, ist anno 1621, am Tage der Bekehrung des Paulus und das ist laut Kalender am 25 Jänner die Gesellschaft zu Rebleuten gegründet worden. Ihr seht, auf dieser Tafel sind alle Burger vertreten, die Recht an der Gesellschaft haben. Da figurieren alle unsere Künzi, Hartmann, Simmen, Forster, Bönzli, Zülli, Witz, Hopf, Kissling, Marolf und Scheurer. Ein Teil der Geschlechter ist ausgestorben, so wie Rott, Schaufelberger, Berseth, Pfosi, Roseng und andere. Es muss eben alles mit der Zeit unter den Boden, nicht nur die alten Rebstöcke !
Bei den letzten Worten schaute der stattliche Alte sinnend einen Moment zu den Fenstern hinaus nach dem Schulhaus hinüber, wo soeben ein lebhaftes ¨Tringeln¨ die Stundenpause anzeigte. Und wenige Sekunden später tobte schon wie eine Herde losgelassener übermütiger Lämmer und Zicklein die lebhafte ¨Zukunft¨ Erlachs auf den freien Platz hinunter, wo sich bald ein temperamentvolles Spielen entwickelte.
Ein feuchter Schimmer begann um Rüedi Simmens Augen zu spielen, und ein tiefgeholter Atemzug hob die breite, alte Brust. Diese Rührungsanwandlung dauerte aber nur einen Augenblick; dann wandte sich das weissbemähnte Haupt mit dem verwetterten, lederbraunen Gesicht wieder der Wappentafel zu und der welke Mund fuhr in seiner Erklärung weiter: ¨Die Gesellschaft zu Rebleuten¨ besitzt ein ansehnliches Vermögen, so bei sechzigtausend Fränklein herum. Aus den Zinsen werden arme Witfrauen und Waisenkinder verstorbener Zunftgenossen unterstützt. Und nun zum eigentlichen ¨Pauli¨.
Am 25. Jänner, also am Gründungstag der Gesellschaft, halten wir jedes Jahr die Hauptversammlung ab. Manchmal um eins, oft auch erst um zwei Uhr beginnt die Sitzung. Die Hauptsache dabei ist natürlich so ziemlich jedem das Taggeld, welches in letzter Zeit zehn Franken beträgt. Ist die Sitzung zu Ende, so macht man gewöhnlich ein Kehrli die Atstadt hinauf bis zum Bühl, manchmal sogar bis in den Hoggenberg. Und kommt man dann zurück, so stehen auf den langen Tischen schon ein Liter vom Mehrbesseren am andern samt den nötigen Gläsern. Und dort in der linken Ecke beim Fenster vorn glüsslet alben verheissungsvoll ein zirka hundertlitriges Weinfässchen hervor. Und von dort hinten machen zwei, drei herrliche Bauernschinken mit ihrem appetitlichen Geschmäcklein den verschiedenen Nasenlöchern schon lange: Komm, komm …..
Und dann geht halt die Geschichte so süferli los. Zuerst wird anfangs in der Ordnung ¨Gesundheit¨ gemacht. Dann teilen die neueingetretenen Jungen jedem ein Fünfzigermütschli und ein Blatt Pergamentpapier aus, um die Schinkenschnitten darauf zu zerkleinern.Pauli-Teller
Dann nimmt einfach jeder sein Sackmesser hervor – die linke Hand dient als Gabel – und verschneidet seine Portion auf dem Papier. Nach der ersten Auflage Schinken ist jeweilen anfangs ein toller Boden für das nachfolgende Dünne gelegt, und dann geht es halt mit dem ¨Helten¨ los, wie`s eben von richtigen Seebutzen nicht wohl anders erwartet werden kann. Aber sie mögen`s auch vertragen. Herr, und ich garantiere Euch, andern Morgens bei der Heimkehr sind die leicht zu zählen, denen man mehr ansehen kann, als etwa ein kleines Stüberli….
So um die Zehne herum kommt dann die zweite Auflage Schinken aufs Tapet. Und dazwischen wird gesungen und werden Spässe erzählt und gelacht, dass oft fast die getäferten Wände ringsum zu¨chleflen¨anfangen, nicht zu reden vom Nebeln aus Pfeifen und Zigarren, dass man oft einander fast nicht mehr erkennt. Unser Schutzheiliger, der Apostel Paulus dort an der Wand, wird wohl jeweilen denken, es hätte es gerade so nötig, den Erlachern mal eine Epistel zuzuschicken, wie seinerzeit den Thessalonikern, Galatern und so weiter.
So, das wäre im grossen ganzen der Verlauf eines ¨Pauli¨
Und jetzt wollen wir denk wieder hinaus.
Herzlich dankend und dem alten Rebmann ein Trinkgeld zwischen die schwieligen Zitterfinger drückend, verabschiedete sich nun der fremde Herr und stieg über die uralten, von so vielen Generationen ausgetretenen Steinstufen der jäh sich emporhebenden Altstadt gegen das weit in die Lande schauende Schloss hinauf. Der greise Seebutz aber siedelte sich wieder an seinem Lieblingsplätzchen unterm Weinland an und seine Blicke glitten wie traumverloren über den ewigschönen Bielersee, nach der im Sonnenglast purpurn erglühenden waldigen St. Petersinsel hinunter, wo eben der Kahn eines Lüscherzer Fischers dem Wildgeflügelparadies des grünen ¨Heidenweges¨entlang eine goldig schimmernde Furche zog…