Pauli Bekehrung in Erlach
Von Paulianer R. Sch.
Was der ¨Pauli¨ sei möchtet Ihr gerne wissen ?
Henu, das will ich Euch jetzt erklären. Aber macht`s Euch nichts, gerade mit mir aufs Rathaus hinaufzukommen ? Wir sind im Augenblick droben, und dann hat man gleich alles schön beieinander. Ihr müsst nämlich wissen: der Pauli ist immer auf dem Rathaus !
Nach diesen Worten stapfte der alte Rüedi Simmen voraus, dem Rathause zu. Er marschierte trotz seinen 84 Jahren mit zwar ziemlich langsamen, aber weit ausholenden Schritten, etwas gebeugt, genau in der Stellung, als ob er – wie in jüngeren Jahren- im Halskorb Erde oder Dünger die steilen Jolimontreben hinauftrage. Hoch und kräftig gebaut, wetterbraun Kopf und Hände,in einst blauen, nun aber bleich gewaschenen Grisshosen und grauem Aermelgilet dahinschreitend, stellte dieser weisshaarige Alte den ächten Typus des greisen Seeländer Rebbauern vom richtigen Stockholz dar. Jetzt zu schwerer Arbeit nicht mehr recht fähig, hatte er seit ein paar Jahren der jüngeren noch ¨läbigeren¨ Generation das Stickelziehen, Schneiden, Hacken, Stickln, Rühren, Schaben und Spritzen im Rebberg droben überlassen und sonnte dafür an schönen Nachmittagen seine alten Knochen auf dem grünen Bänklein vor dem Hause,wobei er, wenn ihm Frau Sonne gar zu intensiv den alten Gehirnkasten küsste, sich nur zurückzulehnen brauchte in die kühlen Blätter des Traubenspaliers, welches üppig über die ganze Front des Häuschens emporwucherte, die vielhundertjährigen gotischen Fensterstöcke aus gelbem Hauterive-Stein malerisch umrandend.
Eine Hauptfreude für Rüedi Simmen war es immer, wenn ein staffeleibeladener Maler oder sonst irgend ein Ortsfremder, der die interessante Altstadt ansehen wollte, sich bei ihm über irgendetwas ihnen noch Unbekanntes erkundigte. Wie leuchteten dann da seine alten, von Rünzelchen kreuz und quer umzogenen, aber noch immer recht hell blickenden Seebutzenäuglein, in deren Winkel der Schalk auch jetzt noch fortwährend ein behagliches Heim hatte, wenn er von der Altstadt zu reden begann. Fast von jedem der uralten Arkadenhäuschen wusste er irgendetwas Originelles aus weit zurückliegenden Jahrzehnten zu berichten viel Heiteres aber daneben doch auch manch Tragisches Ernstes.
Auch heute war nun wieder so ein fremder Herr gekommen. Der hatte sich langsam dahinschreitend, links und rechts aufmerksam die Häuser betrachtet, bis er den greisen Rüedi auf seinem lauschigen Sitz erblickte, an den er sich dann mit der Frage nach den ¨Pauli¨ wandte. Im ersten Moment war der Rüedi schier etwas erstaunt, denn wegen dem hatte ihn bis zur Stunde tatsächlich noch niemand ausgefragt. Ja nun, so fremdes Volk hat halt manchmal seine aparten Schrullen, dachte der greise Cicerone. Nun ging`s unter den von zwei friedlichen Schiessscharten flankierten Torbogen des Rathauses durch und über alte Steinstufen empor in den ersten Stock, wo ein geräumiger, nicht sehr hoher Saal die beiden einsamen, ungleichen Besucher aufnahm.
Links der Eingangstüre stand breit und stattlich ein alter, mächtiger,mit Bildern und Ornamenten verzierter Kachelofen.Zu Häupten der Eintretenden zog sich eine massive , eichene, buntbemalte Decke hin. Die Wand linkerhand schmückten zwei von Burger alt Regierungsrat Alfred Scheurer selig geschenkte Ansichten vom einstigen Erlach nach Originalen des bekannten bernischen Landschaftsmalers Aberli (gest. 1784). Geradeaus reihte sich der ganzen Vorderseite des Saales entlang einer der gelbsteinernen gotischen Fensterstöcke an den anderen. Den Hauptschmuck des Raumes aber bildete die riesige Wappentafel mit zirka hundertunddreissig Wappentäfelchen sämtlicher Burger, welche der Korporation ¨zu Rebleuten¨, der einzigen ¨Zunft¨ des Städtchens, angehören. In der Mitte dieses gewaltigen, die ganze Westwand einnehmenden Wappengestelles prangte, von einer seit Jahrhunderten im Graberuhenden, leider unbekannten Künstlerhand gemalt, eine meisterhafte Darstellung der biblischen Szene von Pauli Bekehrung. Näheren Aufschluss über die Bewandtnis dieses Kunstwerkes verschaffte die daneben in zierlichen gotischen Lettern hingesetzte Inschrift:
Gott geb syn Gnad zu allen zyten
der Ehren Gesellschaft zu Rebleuten,
Welche bestätigt im 1621 jar,
Dinstags, da Pauli Bekehrung war.
¨Seht Ihr, Herr¨, nahm nun der alte Erlacher Führer und Burger wieder das Wort, hier halten wir alben den ¨Pauli¨ab. Aber natürlich, Ihr wisset ja wohl noch gar nicht, was der ¨Pauli¨ überhaupt ist. Also höret denn: Wie Ihr auf der grossen Wappentafel da lesen könnt, ist anno 1621, am Tage der Bekehrung des Paulus und das ist laut Kalender am 25 Jänner die Gesellschaft zu Rebleuten gegründet worden. Ihr seht, auf dieser Tafel sind alle Burger vertreten, die Recht an der Gesellschaft haben. Da figurieren alle unsere Künzi, Hartmann, Simmen, Forster, Bönzli, Zülli, Witz, Hopf, Kissling, Marolf und Scheurer. Ein Teil der Geschlechter ist ausgestorben, so wie Rott, Schaufelberger, Berseth, Pfosi, Roseng und andere. Es muss eben alles mit der Zeit unter den Boden, nicht nur die alten Rebstöcke !
Bei den letzten Worten schaute der stattliche Alte sinnend einen Moment zu den Fenstern hinaus nach dem Schulhaus hinüber, wo soeben ein lebhaftes ¨Tringeln¨ die Stundenpause anzeigte. Und wenige Sekunden später tobte schon wie eine Herde losgelassener übermütiger Lämmer und Zicklein die lebhafte ¨Zukunft¨ Erlachs auf den freien Platz hinunter, wo sich bald ein temperamentvolles Spielen entwickelte.
Ein feuchter Schimmer begann um Rüedi Simmens Augen zu spielen, und ein tiefgeholter Atemzug hob die breite, alte Brust. Diese Rührungsanwandlung dauerte aber nur einen Augenblick; dann wandte sich das weissbemähnte Haupt mit dem verwetterten, lederbraunen Gesicht wieder der Wappentafel zu und der welke Mund fuhr in seiner Erklärung weiter: ¨Die Gesellschaft zu Rebleuten¨ besitzt ein ansehnliches Vermögen, so bei sechzigtausend Fränklein herum. Aus den Zinsen werden arme Witfrauen und Waisenkinder verstorbener Zunftgenossen unterstützt. Und nun zum eigentlichen ¨Pauli¨.
Am 25. Jänner, also am Gründungstag der Gesellschaft, halten wir jedes Jahr die Hauptversammlung ab. Manchmal um eins, oft auch erst um zwei Uhr beginnt die Sitzung. Die Hauptsache dabei ist natürlich so ziemlich jedem das Taggeld, welches in letzter Zeit zehn Franken beträgt. Ist die Sitzung zu Ende, so macht man gewöhnlich ein Kehrli die Atstadt hinauf bis zum Bühl, manchmal sogar bis in den Hoggenberg. Und kommt man dann zurück, so stehen auf den langen Tischen schon ein Liter vom Mehrbesseren am andern samt den nötigen Gläsern. Und dort in der linken Ecke beim Fenster vorn glüsslet alben verheissungsvoll ein zirka hundertlitriges Weinfässchen hervor. Und von dort hinten machen zwei, drei herrliche Bauernschinken mit ihrem appetitlichen Geschmäcklein den verschiedenen Nasenlöchern schon lange: Komm, komm …..
Und dann geht halt die Geschichte so süferli los. Zuerst wird anfangs in der Ordnung ¨Gesundheit¨ gemacht. Dann teilen die neueingetretenen Jungen jedem ein Fünfzigermütschli und ein Blatt Pergamentpapier aus, um die Schinkenschnitten darauf zu zerkleinern.Pauli-Teller
Dann nimmt einfach jeder sein Sackmesser hervor – die linke Hand dient als Gabel – und verschneidet seine Portion auf dem Papier. Nach der ersten Auflage Schinken ist jeweilen anfangs ein toller Boden für das nachfolgende Dünne gelegt, und dann geht es halt mit dem ¨Helten¨ los, wie`s eben von richtigen Seebutzen nicht wohl anders erwartet werden kann. Aber sie mögen`s auch vertragen. Herr, und ich garantiere Euch, andern Morgens bei der Heimkehr sind die leicht zu zählen, denen man mehr ansehen kann, als etwa ein kleines Stüberli….
So um die Zehne herum kommt dann die zweite Auflage Schinken aufs Tapet. Und dazwischen wird gesungen und werden Spässe erzählt und gelacht, dass oft fast die getäferten Wände ringsum zu¨chleflen¨anfangen, nicht zu reden vom Nebeln aus Pfeifen und Zigarren, dass man oft einander fast nicht mehr erkennt. Unser Schutzheiliger, der Apostel Paulus dort an der Wand, wird wohl jeweilen denken, es hätte es gerade so nötig, den Erlachern mal eine Epistel zuzuschicken, wie seinerzeit den Thessalonikern, Galatern und so weiter.
So, das wäre im grossen ganzen der Verlauf eines ¨Pauli¨
Und jetzt wollen wir denk wieder hinaus.
Herzlich dankend und dem alten Rebmann ein Trinkgeld zwischen die schwieligen Zitterfinger drückend, verabschiedete sich nun der fremde Herr und stieg über die uralten, von so vielen Generationen ausgetretenen Steinstufen der jäh sich emporhebenden Altstadt gegen das weit in die Lande schauende Schloss hinauf. Der greise Seebutz aber siedelte sich wieder an seinem Lieblingsplätzchen unterm Weinland an und seine Blicke glitten wie traumverloren über den ewigschönen Bielersee, nach der im Sonnenglast purpurn erglühenden waldigen St. Petersinsel hinunter, wo eben der Kahn eines Lüscherzer Fischers dem Wildgeflügelparadies des grünen ¨Heidenweges¨entlang eine goldig schimmernde Furche zog…
Ein ¨Pauli¨
Kohlenbrandschwarz hebt die Nacht sich aus dem feuchten Grunde,
Schwingt und breitet ihren Schleier weit um in die Runde,
Aeugt dem See entlang, und sieh, Licht um Licht ersprüht
Atmet, und durchs Schilf es fein, wie von Geigen, zieht !
Lächelt leis und lenkt die Schritte durch die Bodenreben
Bergwärts, wo die alten Giebel ob den Halden kleben;
Kriecht aufs Rathaus, wo es gelb aus dem Scheibchen blinkt,
Wo`s wie uralt ¨Lied vom Wein¨und von Gläsern klingt.
Stolz sitzt da der Burger Sippe, straff die braunen Nacken,
Feierlich leert Glas um Glas sich: Ohren glühn und Backen.
Ha, wie solch ein Schlossbergwein durch die Kehle rinnt,
Lind und prickelnd, wie ein Kuss von dem liebsten Kind…
Dicker wird der Tabaksnebel. Weindunst aller Enden !
Graue Schwaden um die Häupter ringeln sich und wenden.
Von des heil`gen Paulus`Bild an der Wappenwand
Nicht die Spur mehr - alles trüb, grau in grau gebannt…
Da und dort schrillt Hahnenkrähen fernher aus den Tiefen.
Hie und da sägt leises Schnarchen, als ob manche schliefen.
Irgend jemand löscht das Licht, öffnet Scheib`und Tor;
Feuchtkalt flutet Nebel ein; und man schreckt empor…
Fernzu hallt`s von schweren Tritten über alte Stufen,
Von erregtem Disputieren, Schlüsselklirren, Rufen…
Endlich Stille !… Nur vom Schloss springt ein Jutz noch los,
Sinkt - ein letzter Pauligruss – in des Sees Schoss…
Annahme:
Text von Robert Scheurer 1940